Deutscher Hörbuchpreis 2022 in der Kategorie »Bester Podcast«

Hannes soll kein Russe werden
Baran Datli / Anton Stanislawski
Audible
Hörbeispiel:

Kurzbeschreibung:
Hannes wird als kleiner Junge sexuell missbraucht - sein Vater ist alkoholkrank. Hannes ist schwer traumatisiert und wird früh verhaltensauffällig. Er wird von einer Schule und Psychiatrie zur anderen gereicht, gilt als „Systemsprenger“. Mit Hilfe einer Maßnahme des Jugendamtes kommt er schließlich nach Russland in eine Gastfamilie und fängt dort langsam an, Fuß zu fassen. Dann beschließt das Jugendamt, die Maßnahme zu beenden - mit einem tragischen Ausgang.

Begründung der Preisträgerjury:
Die beiden Autoren dokumentieren die Geschichte des Systemsprengers Hannes unaufgeregt und sachlich. Es ist eine Geschichte von Defiziten in der Jugendhilfe, aber auch von gesellschaftlichem Versagen und einer Fehlerkultur, die eher eine Katastrophe in Kauf nimmt, als eine falsche Entscheidung zu korrigieren. Die Autoren geben allen Beteiligten Raum und Sicherheit, und die Interviews, vor allem aber der O-Ton von Hannes, erzeugen eine hohe Authentizität. Auch durch die sorgfältige Rekonstruktion, die auf Effekte gänzlich verzichtet, entsteht eine Spannung, die sich über sieben Teile hinweg stetig steigert. Und immer schwingt die eine Frage mit: „Wie konnte das so passieren?“ In „Hannes soll kein Russe werden“ zeigt sich, zu was ein gut recherchierter, klug inszenierter Podcast fähig ist. Eine Offenbarung.

Begründung der Nominierungsjury
Baran Datlì und Anton Stanislawski haben zwei Jahre lang für den Podcast recherchiert und sind bis nach Kirgistan gereist. Durch authentische Stimmen, gelungenes Storytelling und einer sehr guten und klaren Einordnung rekonstruieren die beiden Autoren Hannes’ traurige Geschichte. Ihre Recherche deckt Lücken in der Jugendhilfe und gesellschaftliches Versagen auf. Dabei verzichtet die Erzählung auf Effekthascherei. Sie bleibt still, was sie noch eindrücklicher macht. Angesichts der Pandemie und der hohen Anzahl an Kindern und Jugendlichen mit psychischen Problemen hat der Podcast eine große thematische Brisanz. Und er verschafft denen Gehör, die sonst wenig Beachtung finden.

Die Preisträger:

Baran Datlı reiste nach seinem Studium der Politikwissenschaft in die SWANA-Region (Südwestasien und Nordafrika). Dort schrieb er für überregionale Medien als Auslandsreporter mehrseitige Reportagen. Er recherchierte in der Türkei, wie die Guerillaorganisation PKK Jugendliche aus Europa für den Kampf anwirbt. Die Schlacht um die syrische Stadt Kobanê erlebte er hautnah mit. Im Irak interviewte er jesidische Frauen, die sich zur Selbstverteidigung gegen Dschihadisten bewaffneten. Zuletzt begleitete er Geflüchtete an der polnisch-belarussischen Grenze.
Seine Ausbildung absolvierte er an der Deutschen Journalistenschule und war dafür Stipendiat der Studienstiftung der Süddeutschen Zeitung. Danach bildete er sich zum Auslandsreporter mit Schwerpunkt Krisenjournalismus weiter. Momentan ist Datlı hauptberuflich freier Autor und Reporter für investigative Dokumentationen und Reportagen, sowohl für Text als auch für Video und Ton.

Anton Stanislawski hat früh angefangen, mit Mikros zu arbeiten. Für den Studierendensender M94.5 berichtete er aus seiner Heimatstadt München – neben seinem Studium der Politikwissenschaft und Soziologie. Nach einem Jahr in Istanbul zog er nach Berlin, um Radio zu machen. Dort arbeitete er für FluxFM und trat bald sein Volontariat an der rbb-Journalistenschule electronic media school an. Heute arbeitet er als freier Journalist immer noch vor allem mit Mikros: Er berichtet als tagesaktueller Livereporter für die ARD-Wellen über Demos und Großveranstaltungen. Als Reporter für radioeins recherchiert er über die Klimakrise, Corona und die Cannabislegalisierung. Als Autor für den Y-Kollektiv Podcast erzählt Stanislawski Geschichten aus ganz Deutschland. Aber Podcasts sind für ihn mehr, als irgendwas in Mikros sprechen. Sie sind schlicht die beste Art, Geschichten journalistisch zu erzählen. Kein anderes Medium bietet die Gelegenheit, sich so ausführlich mit den Personen und Umständen zu beschäftigen, wie es gute Geschichten erfordern. Das Leben ist eben kompliziert – Podcasts können das einfangen. Hannes soll kein Russe werden“ ist sein erster umfassender Doku-Podcast.


Baran Datli / Anton Stanislawski © Jens Oellermann für Audible

Hier geht es zum LIve-Gespräch mit den beiden Preisträgern in der Verleihungssendung

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