Das traurige Schicksal eines Hermaphroditen, eine Stadt voller Zorgel, ein renitentes Känguru, ein fleißiger Mistkäfer und die höchst lebendigen Stimmen verstorbener Poeten: Die Verleihung des Deutschen Hörbuchpreises am 6. März stellte abermals unter Beweis, wie vielseitig und leistungsstark die Hörbuchbranche ist. In kurzweiliger Abfolge präsentierten Katty Salié und Dieter Moor zum Auftakt der lit.COLOGNE die diesjährigen Gewinner in sieben Kategorien, außerdem die beiden Publikumspreise HörKules und HÖRkulino sowie das „Hörbuch des Jahres“ der hr2-Hörbuchbestenliste.
Zu Klängen des US-Sängers Antony Hegarty, am Flügel gespielt vom musikalischen Leiter Mike Herting, betrat zunächst der „Beste Interpret“ Gustav Peter Wöhler die Bühne und las mit berührend verhaltenem Ausdruck aus Sibylle Bergs Roman „Vielen Dank für das Leben“. Den leisen Tönen des Auftaktes folgte ein Ausbruch an Temperament: Die fünfköpfige Kinderjury des Magazins ZEIT LEO, begleitet von Chefredakteurin Katrin Hörnlein, eroberte die Bühne und übergab die legendär schwergewichtige Trophäe vielstimmig und -händig an Martin Baltscheit. Der Sprecher wurde in der Kategorie „Bestes Kinderhörbuch“ für die Interpretation von „Zorgamazoo“ ausgezeichnet, einem Langgedicht in 30.000 Versen. Baltscheits explosiver Vortrag warb nicht nur für die fantasievolle Geschichte des Autors Robert Paul Weston, sondern auch für die kongeniale Übersetzung durch Uwe-Michael Gutzschhahn, dessen Leistung im Interview besonders gewürdigt wurde. Von den Zorgeln, diesen freundlichen Fabelwesen mit Hörnern und Krallen, ging es dann endgültig hinüber ins Tierreich: „Der heilige Pillendreher“ aus der Feder des französischen Entomologen Jean-Henri Fabre beobachtet den Mistkäfer bei seiner Arbeit und bescherte Regisseur und Verleger David Fischbach den Preis in der Kategorie „Bestes Sachhörbuch“. Seinem Leipziger Mitstreiter Robert Rehnig, dem Komponisten des suggestiven elektroakustischen Klangteppichs, gebührte ein Sonderapplaus des Gala-Publikums.
Nach dem mitreißenden ersten Auftritt des Ensembles Spark sorgte die „Beste Interpretin“ Dagmar Manzel für eine nachdenklich-wehmütige Atmosphäre, als sie mit wunderbarem Timbre den Anfang von Christa Wolfs letzter Erzählung „August“ vortrug. Ein Liebesgeschenk der Autorin an ihren Mann, mit dem sie ihn an traurig-schönen Erinnerungen aus der Nachkriegszeit teilhaben ließ. Von dort war es ein großer Sprung: zum Känguru nämlich und seinem Mitbewohner Marc-Uwe Kling, der den Preis in der Kategorie „Das besondere Hörbuch / Beste Unterhaltung“ gewann. Der gescheiterte Versuch einer Flugreise von Berlin-Schönefeld nach Berlin-Tegel, unvergleichlich komisch vorgetragen, ließ den Saal förmlich beben. Auf gänzlich andere Weise verstand es der Preisträger in der Kategorie „Beste verlegerische Leistung“, die Zuhörer und –schauer für sich zu gewinnen: Einzelne der 184 „Erzählerstimmen“, herausgegeben vom Hörverlag, ertönten aus den Lautsprechern. Dass nichts persönlicher ist als die eigene Stimme, wurde insbesondere bei den verstorbenen Autoren greifbar, die für einen Moment gleichsam wiederauferstanden.
Mit zwei besonders geschätzten Spannungsmomenten begann der dritte Teil der Preisverleihung: In Oscar-Manier öffneten die beiden Moderatoren die Umschläge und verkündeten die Gewinner des HÖRkulino (Verleger Rainer Gussek für das Hörspiel „Gespenster gibt es doch“) und des HörKules („Ziemlich beste Freunde“ nach der Autobiografie von Philippe Pozzo di Borgo). Aus ihr gab (Synchron-)Sprecher Frank Röth eine eindrucksvolle Kostprobe.
Zum krönenden Abschluss wurde der doppelte Gewinner dieser Preisverleihung geehrt: „Bestes Hörspiel“ beim Deutschen Hörbuchpreis und zugleich „Hörbuch des Jahres“ der hr2-Hörbuchbestenliste ist die Hörspielfassung von James Joyces „Ulysses“. Dramaturg Manfred Hess und Regisseur Klaus Buhlert nahmen die Trophäe entgegen und verkündeten allem Zeitgeist zum Trotz, dass ein „Wortbeitrag“ gerne 20 Stunden haben dürfe – in diesem Falle gewiss! Schauspielerin Corinna Harfouch bewies mit einem gesten- und facettenreich vorgetragenen Ausschnitt, dass keine Minute in diesem Mammutwerk fehlen sollte.
In bester Laune entließen das Moderatorenduo und das begeisternde Ensemble Spark Preisträger und Publikum zur Aftershowparty. Und wir freuen uns schon jetzt auf den Hörbuch-Jahrgang 2013!